Und Gottes Tochter sprach: »Sieh doch, dort …«, und ihre Pfote wies in Richtung jener Kugel, auf der das Leben erblüht war in einmaliger Vielfalt und unnachahmlicher Schönheit, »Sieh nur, alles stirbt.«
Und Gott sah hin zu jener Kugel, die er gut kannte – denn es war ihm seit langem die liebste. In jenen Jahrhunderten, da er an sich und der Welt gezweifelt hatte, an der Vergänglichkeit auch seines Lebens verzweifelt war, als das Dasein ihm einzig sinnlos erschienen und er in tiefe Traurigkeit gefallen war – wie sehr war sie ihm Trost gewesen, diese so kleine und unscheinbare Kugel da.
Wie oft hatte er dagelegen, nur sie betrachtend, ihren wundervoll schimmernden Glanz, das abwechslungsreiche Spiel ihrer Farben, ihre unvergleichlich kostbare Schönheit. Wie oft hatte er ihre Üppigkeit bestaunt, die darauf gewachsen war, die Verschiedenheit, die sich da im unüberschaubar dichten Nebeneinander zeigte und regte. Wie oft bewundert den steten Wechsel ihrer Erscheinung, das unendliche Auf und Ab des Vergehens und Werdens. Und wie oft hatte sie ihm seine Einsamkeit vergessen gemacht, wie oft hatte er um ihretwillen Freudentränen geweint. Ja, da war die Kugel ihm Sinnbild gewesen, und Hoffnung und Morgen.
Und jetzt, jetzt sah er sie, von dichten Wolken umschlossen, und wo sie sich lichteten, da war alles erstarrt, verblüht, erloschen.
Und Gott seufzte schwer, strich seinem Kinde das Fell und sprach: »Es vergehen die Leben. Der Herbst stirbt und der Winter übernimmt jetzt die Zeit. Wird sein ein langer und harter Winter. Vieles, sehr vieles, fast alles wird nicht überleben, für immer verloren sein, verschwunden und nie mehr zu finden, niemals mehr auferstehen. Aber das Leben stirbt nicht, es kann nicht vergehen. Das Leben schläft nur; es wird wieder erwachen, in neuen Formen und in neuen Bewegungen. Auch der Winter ist verurteilt, seine Zeit zu beenden, und nach ihm kommt Frühling – das bleibt. Sei nicht traurig«, sagte Gott und ließ seine Tränen, »Sei nicht traurig. Das Leben ist immer noch da. Es versteckt sich nur manchmal, wird unsichtbar. Aber es wird wieder blühen, schon im nächsten Millionenjahr.«
Und Gott ließ seine Tränen.
(Henning Sabo)