Nichts werden kann
Beschließe ich
Zu sein
Stille
Wenn ich zurückschaue und mich erinnere, mich wieder einzufühlen versuche in das Vergangene, dann war da diese selbstverständliche Präsenz einer unergründlichen, durch nichts zu erschütternden Stille.
Sie war einfach da, von vorneherein, noch vor allem anderen; von keinem Lärm je zu verdrängen, von keiner Ruhe zu ersetzen. Und war im Nachhinein immer noch da, auch dann, wenn das, was inzwischen erschienen, wieder verschwunden war. Völlig unabhängig vom Kommen und Gehen von Gedanken oder Gefühlen, Ereignissen oder Erlebnissen; nicht zu berühren und nicht zu verletzen vom Sein oder Nichtsein von Geschöpfen und Dingen, vom Werden oder Vergehen des Toten wie des Lebendigen. Sie ist nie fern oder weg gewesen, und nach wie vor ist diese Stille ganz unmittelbar hier. Alles beruht auf ihr, alles ruht in ihr.
Diese Stille ist mein immerwährender Grund, meine niemals versiegende Quelle. Nicht das Gleiche wie Schweigen oder Ruhe, nicht Abwesenheit fordernd von Bewegung oder Getöse, nicht das Gegenteil einklagend zu Lebendigkeit oder Lautstärke. Nichts, das ihr widerspricht, nichts, das ihr entgegenwirkt; sie beruht in sich selbst. Diese Stille ist in allem und um alles herum; sie mischt sich nicht ein und sie lässt jedes sein. Sie ist das, was ist, sie ist das, was bleibt. Sie ist der Raum, in dem alles spielt, die Leere, aus der alles entsteht, das Meer, in das alles fließt.
Wollte ich sagen, was mein Wesen ausmacht, so wäre es »Stille«. Und sollte ich sagen, was ich in dieser Welt als Wesentlichstes ausgemacht, so wäre es »Stille«. Es ist die Stille, die sich in allem offenbart. Ich bin diese Stille, ich weiß, dass ich sie bin. Ganz gleich, ob ich in Ruhe oder Unruhe, ob in mir oder außer mir bin: ich weiß, dass ich diese Stille bin. Sie ist mein Wesen, so wie ich ihr Wesen bin. Da ist nichts anderes als sie, und was immer ich auch annehme oder behaupte, als was ich gelte oder erscheine, ich kann und werde nichts anderes als diese Stille sein.
Wahrheit
Irgendwann in meinem Leben ist mir bewusst geworden, dass mich nur eines ehrlich interessierte und echte Leidenschaft in mir entfachte: Wahrheit schauen, Wahrheit sein. »Wer bin ich? Was ist wirklich wahr?« Das waren die Fragen, die mir im Herzen brannten, und immer mehr war mir gewahr, dass nichts mich würde befrieden oder befriedigen können, solange sie nicht abschließend und endgültig beantwortet waren. Kein Glück würde von Dauer oder Bedeutung sein, keine Freude Bestand oder Wert haben. Mein Dasein machte nur darin Sinn, die Wahrheit zu erkennen, und konnte sich nur darin erfüllen, sie alltäglich zu leben. Mir blieb keine Wahl, als mich ihr zu ergeben und mich selbst zu erlösen.
Ich habe Wahrheit überall gesucht und sie in allem auch gefunden: Überreste, Bruchstücke, Ahnungen, Spuren – aber nirgends sie selbst, nie war sie vollkommen und ganz. Alle menschliche Suche ist die nach der Wahrheit, und jede menschliche Sehnsucht ist die nach Erkenntnis seiner selbst. Trotzdem gibt der Mensch der Wahrheit nicht wirklich ihren absoluten Wert. Nein, er geht ihr nicht bis auf den letzten Grund, sondern letztlich doch seinen Vorhaben und Vorstellungen nach; seine Sehnsucht verführt ihn nicht zum Verweilen in der tiefsten Erkenntnis, sondern zur flüchtigen Jagd nach dem nächsten »tollen Erlebnis«. Auch die »Suchenden« suchen nicht, der Wahrheit immer weiter offenbart zu werden, sondern einmal eingenommene Positionen bestätigt zu finden.
Auch ich habe versucht, der Wahrheit zu entkommen, ihre Autorität und Präsenz abzuschütteln und ihrer Begegnung zu entgehen. Ich hielt mich verborgen in Räumen und ließ mich verleugnen von Zeiten, die ich füllte mit angeblichen Werten und angenommenen Angewohnheiten – die mich der Wahrheit entfernten und entfremdeten. Ich begnügte mich mit gut gemeinten Halbwahrheiten, mit Methoden und Menschen, die sie vertraten und wiederkäuten, und ich lernte, wider mein Wissen wie mein GeWissen zu tun und zu sein. Ich sah mich Wahrheit nur noch als Spiel des Intellekts betreiben, hörte mich gescheit über sie referieren und sie gewandt verteidigen – und musste mir gleichzeitig eingestehen, eine Lüge zu verkaufen, ein Betrüger zu sein. Das wollte ich beenden!
Ich wusste, dass ich die Wahrheit wusste; ich konnte sie »sehen« und erkennen, wo sie verwirklicht und angenommen, wo sie verdrängt und bedingt, frei oder unklar war: in den Schriften, in den Menschen, in mir. Sie hat eine andere Energie, einen anderen Geschmack, eine andere Natürlichkeit als das, was Wahrheit nur beansprucht oder eine Idee von ihr vertritt. Sie ist unmittelbar, frisch, sie schmeckt nach Zuhause und Quelle, sie berührt das ganz Tiefe, Vertraute; ein Erinnern, das magisch anzieht oder manisch abstößt. Sie ist, wie sie ist, sie behauptet nichts, sie begründet sich nicht. Ist das Ja zur Wahrheit nicht vollkommen und unbedingt, ist da das kleinste Aber oder der geringste Vorbehalt, dann ist die Wahrheit nicht ganz. Und wo sie ausgrenzt und vorzieht, etwas will, verfolgt oder bezweckt, ist sie bloß eine Idee und es bleibt etwas zurück. Etwas ist nicht stimmig, nicht echt, und es gibt diese deutliche Wahrnehmung von »etwas fehlt«, dieses: »es ist noch nicht Das«.
Wenn es einen Moment »jetzt ist es Das« gegeben hat, dann war er ein bloßes Wahrnehmen, dass es so ist; beiläufig und unspektakulär, ein bejahendes Vermerken: »die Suche ist zuende«, »ich bin hier«, »da ist nichts mehr«. Zuvor wusste ich die Wahrheit, jetzt bin ich ihr gewiss – das ist der Unterschied, die neue Qualität. Es gibt keinen Zweifel mehr, denn ich habe alle Zweifel durchlebt. Die Wahrheit ist so einfach, dass sie völlig unbegreiflich ist. Und so selbstverständlich, dass sie nicht zu übersehen ist. Die Suche ist zuende, das Finden endet nicht; wenn ich das Tor geöffnet lasse, vertieft die Offenbarung sich in jedem Blick. Die Wahrheit hat sich nicht verändert, nicht bewegt. Allein für mich, für mein Empfinden, ist sie nachhause heimgekehrt. Heimgekehrt an ihren einzigen Ort, in das Hier, heimgekehrt in ihre einzige Zeit, in das Jetzt. Zurück in diesen Augenblick. In genau diesen Augenblick. Hier. Jetzt.
Augenblick
Der Prozess der Erforschung dessen, was ich bin und was wahr ist, ist Ent-Täuschung im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Höllentrip, erhellend, desillusionierend, ein Sog, mir alles entreißend, mich allem entreißend, in das Auge des Taifuns. Ein Festen des Zweifelns und Verzweifelns, das Ideen und Halbwahrheiten, all diese vorgestellten, vorgemachten, vorgetäuschten, ins Feuer des Erkennens wirft; aus dem nichts mehr hervorgeht, in dem nichts davon bleibt. Kein Behaupten, kein Erfinden, kein Belegen, kein Begründen; kein Dilemma des Gedachten und keine Dramen des Gefühlten. Nichts, das Halt verspricht, nichts, das haltbar ist. Es bleibt rein nichts zurück. Nichts – allein nur: dieser Augenblick.
In diesem Nichts, das frei von Nichts und Etwas ist, in dieser Leere, die vor Leere und Fülle ist, offenbart sich alles als sich selbst, bezeugt die Vielfalt ihre einzige Identität. All die Erscheinungen von Entstehen und Vergehen, die Verkörperungen eines Gestern und eines Morgen verlieren sich, und es bleibt nicht einmal eine Gegenwart zurück. Da ist bloß »sein« und Augenblick. Dieser Augenblick ist weder schlecht noch gut, weder falsch noch richtig, weder das noch dies; nichts relativiert ihn, nichts steht zu ihm in Beziehung, er ist einzig und absolut: hier, jetzt.
Diesen Augenblick kann ich empfangen und umarmen, kann mich ihm hingeben, ihn befolgen, ihn erfüllen. Oder mich ihm vorenthalten und verweigern, ihn ignorieren, auf »etwas Anderem« bestehen. Es ist egal, es spielt keine Rolle; da ist kein Unterschied, es ist Ein und Dasselbe. Es gibt nichts »Anderes« – keinen anderen Augenblick als genau eben diesen, kein anderes Ich als genau eben dies; der Augenblick ist dem Ich »kein Anderes«, so wie das Ich dem Augenblick »kein Anderes« ist. Es gibt keine Trennung von Ich und Augenblick – und also zwischen ihnen auch kein Entscheiden und keinen Konflikt. Es ist »gleich-gültig«, was ich tue, doch es bereitet mir eine kindliche Freude, zu schauen, was ist, zuzulassen, was geschieht, und zu entdecken, was da durch mich sich äußern will und wird. Ich vertraue – und ich werte nicht.
Der Augenblick ist meine einzige Autorität. Die einzige, die mich niemals verlässt, niemals enttäuscht. Andere Autoritäten (Verstand und Moral, Normen und Normalitäten, Sollen und Wollen, Mensch und Gesellschaft, Gesetze und Schriften) versagen eben dann, wenn sie wirken müssten. Sie lassen sich missbrauchen und bedingen, von unlauteren Absichten, von begrenzten, anmaßenden Ansichten. Ist der Augenblick aus dem Herzen und Handeln vertrieben, braucht es Autoritäten, um dem Leben Grund und Richtung zu geben. Ich werde sie benutzen, die natürliche Führung durch Inspiration und Intuition außer Kraft zu setzen, um die Spontaneität des Herzens zu entmündigen, um das GeWissen dauerhaft zu überschreiben. Nur der Augenblick ist der unmittelbare Ausdruck des Seins, das ist, und des GeWissens, das in mir weiß und lebendig ist. Er ist die unbedingte Präsenz der Wahrheit, die sich durch ihn offenbart, und meines Wissens um die Wahrheit, das in ihm sichtbar und wirksam wird. Frisch, authentisch und echt, und frei von Ansicht und Absicht.
Diesem Augenblick gebe ich immerwährende Priorität. Verleihe ich sie etwas anderem, so ist es für diesen Augenblick zu spät. Doch nicht für »diesen«, denn »dieser Augenblick« verschwindet nicht. Dieser, jeder Augenblick ist eine Einladung an mich. Eine Aufforderung, Ja zu sagen und mich hinzugeben, wahr zu nehmen, anzunehmen, zu erkennen und anzuerkennen. Anschauen statt abzielen, akzeptieren statt urteilen, lieben statt meinen. Ich überlasse mich diesem Augenblick, lasse mich überraschen, was er offen legt: Wer bin ich außerdem? Was lässt sich noch erkennen? Wie weit und wie tief wird es sich entfalten? Ich habe mich entschieden, meine Fülle auch zu leben, habe mich entschieden, mich dieser Vielfalt zu ergeben. Was immer auch geschieht, was immer sich durch mich auch tut – es ist wahr, es ist ich, es ist »gut«. Das gibt mir die Energie zurück, die sich ansonsten durch Behaupten und Beharren, durch Bewehren und Beschweren verschwendet. Das lässt mich das Wunder des DeMuts erfahren, mich Zärtlichkeit und Vertrauen bewahren. Lässt diesen wundervollen, unvorhersehbaren AkzepTanz mich tanzen, mit dir, mit diesem Sosein, mit dem Großen Ganzen. Lässt leiden mich und lachen und aus dem »Guten« dieses »Beste« machen.
Ich weiß nicht, wohin er mich führt, dieser Augenblick. Ich weiß nur: es ist »nichts Anderes«. Nichts anderes als ich selbst, nichts anderes als Dies. Es gibt keinen Zweiten, kein »außen«, kein »entgegen«, nicht ein einziges »Nicht-«. Keinerlei getrenntes Wesen, keine »eigen-ständige« Persönlichkeit, kein separates Ich. Da ist kein »mein« oder »dein« – da ist einzig »ein«, das sich äußert als »sein« und sich erinnert, »ein« zu sein. Sonst ist da nichts. Nichts. Allein nur Stille, Wahrheit, Augenblick.
Dies ist der Augenblick. Er ist da. Stille und wahr, offen und klar. Nein, er urteilt nicht, nein, er weist nicht zurück. Ja, er ist jetzt, ja, er liebt.