Einst kam ein junger Schüler zu Meister Einklang und bat um Unterweisung.


»Meister, was ist das Wesen des Weges

»Täglich.«
»Wie soll ich das verstehen?«

»Stündlich.«

»So gebt mir doch einen Hinweis!«

»Pausenlos.«

»Wisst Ihr den keinen anderen Rat?«

»In diesem Moment.«

(Henning Sabo)


Wasser fließt
         Unendlich Quellen

Rauschend Ströme

            Wogend schwellen

Sprudelnd über
               Tausend Schnellen

Wachsend, fallend

                  Wellen, Wellen

Doch der See, er regt sich nicht

Doch der See, er regt sich nicht

(Henning Sabo)

Blume und Schmetterling

Wärst du doch, Falter, mir einmal zu fassen

Berührt, ach, nimmer würd’ ich dich lassen

Wär’ eine Wiese, meine Farben zu fassen

Dich würd’ ich darin schlummern lassen

Wäre ein Himmel, meine Träume zu fassen

Dich würd’ ich überallhin fliegen lassen

Wäre ein Nektar, meine Liebe zu fassen

Dich würd’ ich immer von trinken lassen

Kann doch das Gaukeln und Taumeln nicht lassen

Alle Buntheit der Welt muss mein Staunen erfassen

Kann doch das Suchen und Tändeln nicht lassen

Verfall wird mich fangen und Starre mich fassen

Kann doch nur zittern, muss doch verlassen

Nektar der Heimat, werd’ je ich dich fassen?

Kann ja auch fliegen, mich zu dir zu lassen:

Blume im Wind, darfst enger mich fassen!

(Henning Sabo)


Und wenn ich euch sage: Ich glaube!

Nicht an Dies, nicht an Das
Nicht an Gott, nicht an seine Nicht-Existenz

Nicht an die Hoffnung, nicht an den Tod

Ich sage: Ich glaube! Und damit genug
Nicht an ein Ziel, nicht an ein Ende

Nicht an den Ursprung, nicht an den Anfang

Ich sage: Ich glaube! Das ist mir genug

Nicht an Beweise, nicht an Gegenbeweise

Nicht an das Lehren, nicht an das Lernen

Nicht an Bestimmung noch an Befreiung

Und wenn ich euch sage: Ich glaube!

Dann fragt ihr: An was? und: An wen?

Könnt ihr nicht hören, nicht spüren?

Könnt ihr nicht sehen?
Und wenn ich euch sage: Ich glaube!

Könnt ihr nicht glauben?

Glaubt ihr mir nicht?

Ich weiß

Und spreche:

Nichts

(Henning Sabo)

Fallter

Der Winter friert des letzten Blattes zähen Saft

Aus seinen welken Adern flieht des Daseins Kraft

Doch lassend nicht, sträubt zitternd es sich an den Ast

Den seine Sehnsucht flieht, doch seine Angst erfasst

Wie war im Sommer ihm so heiß, zu fliegen

Sich in den hellen Himmeln auf zu heben
In lichten Lüften leicht zu schweben

So eingelöst dem weiten Wiegen

Doch fiel im Herbst schwer Blatt um Blatt

Aus seiner Träume Krone ab

Fiel traurig, tief und schwach und matt

Zu dunkler Erde kaltem Grab

Der letzten Hoffnung aufgegeben

Löst nun sich aus des Baumes Leben

Das Blatt; fällt heim des Frühlings zartem Weben

Dem Falter wachsen Flügel – frei nun, frei zu schweben

(Henning Sabo)

Exil-Dichter (für Ali)

Getrennt von den Bildern

Die die Heimat dir gab

Suchend ein Morgen

In nicht endender Fremde

Ein Weg, über Grenzpfähle

Und Brücken gesetzt

Tränen in Zeit eingefroren

Und die Uhr

Die schneller dich trennt

Und langsam, so quälend

Nur vorwärts gerinnt

Graue Himmel über grauen Mauern

Ein ungekanntes Gesicht

Und ein Mund, der anderes spricht

Schweigend die Trauer

Und auch im Mantel die Kälte

Die das Herz nicht verhüllt

Die Augen nicht schützt

Doch den Haaren

Treiben schon Blüten

Unter den Fingernägeln

Wächst eine Spur

Die den Horizont lüftet

Sich häuten jetzt

Und ein Schmerz bleibt zurück

Und das Nie-Wieder

Wie das Vergessen

Und die Narben stillt Hoffnung

Und ein ungefundenes Wort

Das du bist

(Henning Sabo)

Zu deinen Quellen wirst du niemals finden
Zu stark ist deiner Zeiten Strom
Die Richtung wird dich ewig binden
Die Mutter folgt nicht ihrem Sohn

Gib dich nur hin dem ungeformten Bette
Dem großen Meer strebt immer doch dein Lauf
Er nimmt dich, gleich wie die Perlen einer Kette
Löst Tropf um Tropf dich in den Wellen auf

Schwemmt dich hinab zu tiefsten Gründen
Hebt dich empor zur Schäume Thron
Wirst alle Wasser sein und alle Länder finden
Wirst leicht, liegst weich den Lüften schon

Steigst zu den lichten Wolken langsam auf
Ballst dich am Berg, feuchtdichte Fülle
Du sammelst wieder eines Flusses Lauf
Brichst auf des Himmels weite Hülle

Regen, du, fallend im Stillen
Heim der Erde, tropfnasser Hauch
Fühlend jetzt alles Beginnen
Strömst du dahin, Unendlicher auch

(Henning Sabo)


Dämmernder Himmel

Unsichtbar fast

Wie schwarze Punkte

Ein Schwarm von Möwen

Langsam kreisend

In Spiralen drehend

Sich empor

Keiner Richtung folgend

Hinterlassend keine Spur

Verschwindend ganz

So Punkt um Punkt

Im Dunkel

Und es bleibt
Ein Schrei

Ein Schrei
Von Möwen nur

(Henning Sabo)