Polyphone Gesänge aus Albanien

Der Link zum Sonntag:

Heute geht es in meinem CD-Schrank zum Thema Folklore ein Land weiter. Von Afghanistan nach Albanien, in ein Land also, das uns geografisch nicht ganz so ferne, sondern eigentlich sogar recht nahe (näher als zum Beispiel sein südlicher Nachbar Griechenland) ist, über das wir aber wohl dennoch in der Regel nur recht wenig wissen – außer vielleicht, dass es seit Mitte dieses Jahres offizieller Beitrittskandidat der Europäischen Union ist.

Ich habe mich nur selten mit diesem Land beschäftigt, aber immer, wenn ich das – und das geschieht vornehmlich auf Basis der Musik – tue, fasziniert mich dieses Albanien, seine wunderbaren Landschaften ebenso wie seine reiche Kultur.

Die Musik der Balkan-Länder hat mich von jeher begeistert, diese ebenso komplexen wie einfachen Melodien, die so viel Melancholie in sich tragen und doch von einer unverbrüchlichen Lebensbejahung zeugen. Vor allem aber die – oft a cappella vorgetragenen – Gesänge mit ihren ganz eigenen Zusammenklängen sind es, die mich immer wieder aufs Tiefste berühren. Ich wüsste die Besonderheiten dieser Gesänge und ihre lokalen Ähnlichkeiten und Unterschiede gar nicht zu benennen, ich weiß nur, dass sie alle auf eine sehr direkte und geheimnisvolle Weise zu mir sprechen und mit mir zu tun haben.

Heute also mehrstimmige Gesänge aus Albanien, auch bekannt als »Iso-Polyphonie«. Als Link habe ich eine Zusammenstellung von mehreren Aufnahmen solcher Chöre (vor allem der »Grupi i Lapardhas«) ausgewählt. Ich wünsche diesen Chören ein offenes Ohr und ein offenes Herz und dir, dem Hörenden und Lauschenden, ein gewiss ungewöhnliches und dich hoffentlich berührendes Hörerlebnis:

Polyphone Gesänge aus Albanien

Ist das Sein

Das Leben ist
Um alles zu erfahren
Um alles zu durchschauen
Ist das Sein

Das Leben ist
Um jedes Spiel zu spielen
Das Spiel nicht zu beginnen
Ist das Sein

Das Leben ist
Es zu verwirklichen
Gewahr es bleiben
Ist das Sein

Das Leben ist
Zu sein

(Henning Sabo)

Nachrufen

Manchmal versagt
Auch das Sagen
Und es verschweigt
Selbst das Schweigen

Warst Zweifel, warst Zorn
Doch du konntest nicht klagen
Warst klug und so klar
Doch es niemandem zeigen

Du, du hast uns doch alle ertragen
Doch mochtest dich selbst nun nicht mehr ertragen
Du, dir war es doch alles zu eigen
Nur wurdest du selbst dir niemals zu eigen

Manchmal versagt
Auch das Sagen
Und es verschweigt
Selbst das Schweigen

(Henning Sabo)

Dastehen

Des Bemerkens wert:

Heute, als ich in der Straßenbahn saß und diese längere Zeit an einer Haltestelle hielt, fiel mir auf der anderen Seite eine junge Frau auf, besser gesagt, die Art, wie sie dort stand, erregte meine Aufmerksamkeit.

Sie hatte ihre Füße auf seltsame Art gegeneinander verdreht, wodurch das eine Bein sich irgendwie um das andere zu winden schien. Offenbar war diese Haltung für sie ganz natürlich und bequem, denn sie wirkte dabei äußerst entspannt und sehr souverän.

Währenddessen versuchte ich für mich zu sortieren, wie sie eigentlich dort stand und mir daraufhin vorzustellen, mich selbst in diese Position »hinein zu versetzen«. Was mich zu dem Schluss brachte, dass ich unmöglich so stehen könnte, und wenn überhaupt, dann würde ich kaum mein Gleichgewicht halten können und diese anstrengende Stellung so schnell wie möglich wieder aufgeben wollen.

So sah ich also fasziniert zu der jungen Frau hin, für die diese Haltung so normal und unspektakulär zu sein schien, dass sie ihr keinerlei Aufmerksamkeit schenken musste. Ganz im Gegensatz zu mir, der ich nun ungeduldig darauf wartete, dass sie ihre Position endlich aufgeben und sich in Bewegung setzen würde, noch bevor meine Straßenbahn wieder davonfahren würde. Insgeheim erwartete ich wohl, sie besonders stark hinken oder sich sonst irgendwie ungelenk vorwärtsbewegen zu sehen.

Nun, meine Straßenbahn fuhr an und begann, in die nächste Kurve zu biegen, als die junge Frau mich endlich erlöste und gemächlich einige Schritte weiter ging – zu meiner Verwunderung ganz normal und gleichmäßig, ohne irgendwelche Auffälligkeiten. Was mich, ehrlich gesagt, ein wenig irritierte und verwunderte.

Nun nutzte ich jeden Halt meiner weiteren Fahrt, um bei allen Menschen, die dort draußen standen, zu schauen, wie sie denn dort standen und was sie mit ihren Füßen, Beinen und Becken machten. Ich weiß nicht, ob sich heute alle verabredet hatten, ob es Zufall war, ob es immer so ist, jedenfalls sah ich viele Menschen auf eine Art an diesen Haltestellen stehen, die mir weder sehr bequem noch sehr erstrebenswert erschien – allein, sie so zu sehen und wahrzunehmen, verursachte mir Schmerzen.

So kam ich schließlich zu dem Schluss, dass Menschen im allgemeinen ziemlich sonderbar dastehen.

Sich inne

Der Abend so stille
Als hielten die Leben sich inne
Zu lauschen der Seele, der Quelle
In der sie verloren, in der sie geborgen
Um als dies Erinnern einander zu Herzen
Vertraut sich zu legen und zärtlich zu schweigen
Im ruhenden Pulsen, im zitternden Frieden
Im freieren Atem, im Überfließen
Der Augenblicke in Augenblicke
Der Gaben in Gaben
Der Güte in Güte

Der Abend so stille
Als hielten die Leben sich inne

(Henning Sabo)

Howard Skempton – »Surface Tension«

Der Link zum Sonntag:

Heute ziehe ich aus meiner CD-Schublade mit Komponisten der Moderne den nächsten von hinten, und das ist Howard Skempton und seine CD »Surface Tension«. Der 1947 geborene Skempton ist ein Meister der kleinen Formen, viele seiner Stücke dauern gerade einmal eine bis drei Minuten. Insgesamt 28 solcher Kompositionen (mit Längen von 0:12 bis 7:55 Minuten) aus den Jahren 1969 bis 1994 sind auf dieser CD in loser Folge zusammengefasst. Vier davon habe ich als Tondokumente im Internet gefunden.

»Gemini Dances #6« aus dem Jahr 1994 ist ein Duett für Klavier und kleine Trommel.

Das »Intermezzo« von 1978 für Viola und Horn ist eines der vielen Stücke, die »für Freunde für zwanglose Konzerte an kleinen Orten« geschrieben wurden.

Dieses kurze heiter-melodische Akkordeon-Solo, das dem Komponisten Dave Smith gewidmet ist – und ebenso gut von Yann Tiersen stammen könnte –, wurde 1985 uraufgeführt und heißt: »Small Change«.

Zum Schluss das Stück »Lament« (1972) in einer Live-Aufnahme mit dem »The a.P.A.t.T. Orchestra« unter Leitung des Komponisten Howard Skempton [der Anfang gehört noch nicht zur Komposition 😉 …]:

Howard Skempton – »Lament«

Ich mag diese kleinen Stücke von Howard Skempton sehr, sie kommen so ganz einfach und leicht daher, haben aber viel Tiefe und öffnen einen weiten Raum, den ich immer wieder gerne und neugierig betrete.

Skempton schreibt dazu: »Das Schreiben von kleinen Gelegenheits-Stücken ist bisher zentral für mein Leben als Komponist gewesen. Dafür gibt es praktische Gründe: Kleinere Werke können schnell geschrieben werden, billig vertrieben und regelmäßig aufgeführt werden. Andere Faktoren sind die Freude am Unmittelbaren, die Leidenschaft für Verfeinerung und Verdichtung und ein Aufgehen in den Klang an sich; all das führt den Komponisten eher zu einer einheitlichen denn zu einer sich entwickelnden Form.« Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen!

Etwas mehr über Howard Skempton ist hier (in Englisch) nachzulesen.