Jacopo Peri – »Euridice«

Der Link zum Sonntag:

Von (Jean-Jacques) Sempé, den ich sehr schätze, gibt es viele wunderbare Karikaturen, die auf sehr kritische und demaskierende Weise – aber mit sehr viel Herz für die von ihm Skizzierten – das Wesen des (französischen) Bürgertums und seiner Protagonisten offen legen. Auf einem seiner Blätter sitzen im Vordergrund ein Mann und eine Frau in Abendgarderobe in einer Theater-Loge, im Hintergrund ist eine Bühne zu sehen, auf der sich eine Frau in dramatischer Geste über einen wohl gerade eben per Dolch erstochenen Mann beugt. Dies kommentiert die Zuschauerin im Vordergrund ihrem Begleiter gegenüber mit den Worten (aus meiner Erinnerung): »Mit ein wenig mehr guten Willen von beiden Seiten hätte sich das doch gewiss vermeiden lassen.«

Dieser Satz gibt sehr gut die Empfindung wieder, die mich regelmäßig befällt, wenn ich mich – was eh überaus selten (vielleicht einmal pro Jahrzehnt) geschieht – in einer Opernaufführung wiederfinde. Ich begreife einfach das ganze »Drama« nicht, das sich da abspielt und immer dramatischere Formen annimmt, ich begreife weder, warum es sich abspielt, noch was daran denn überhaupt so »dramatisch« wäre, wenn es nicht von allen Beteiligten immer wieder dazu gemacht würde. Rein »dramaturgisch« und dichterisch bin ich währenddessen immer versucht, diesen ganzen Überbau für mich auf das Wesentliche zu reduzieren und mir vorzustellen, wie es wäre, dieses mehrstündige Werk in ein oder zwei schlichte und intensive Kompositionen zu konzentrieren.

Eine weitere Rolle, dass ich nicht wirklich zu einem Opernfan werde, spielt sicher, dass mir auch die Art des Gesangs eher fremd ist und mein Herz nur selten wirklich berührt. Sie ist mir meist zu wenig unmittelbar und in ihrem Künstlerischen letztlich zu künstlich. Das ist mir u.a. bewusst geworden, als ich im Radio zufällig eine Sendung – das mag schon dreißig Jahre her sein – hörte, in der es um die ersten Opern überhaupt ging, um eine Gegenüberstellung von Jacopo Peris »L’Euridice« und Claudio Monteverdis »L’Orfeo«. Letzteres gilt als ein erstes bis zur Reife entwickeltes Werk des aus dem »Stile Nuovo« der »Florentiner Camerata« neu entstandenen »Musikalischen Dramas« (»Dramma per musica«), damit als erste klassische Oper überhaupt.

In besagter Sendung ging es dem Autor im wesentlichen darum, anhand dieser beiden Musikwerke, die ja jeweils das griechische Drama um Orpheus und Eurydike zum Thema hatten, die entscheidenden Unterschiede zwischen dieser neu entstandenen Form der Oper und ihrer Vorgängerform herauszuarbeiten. Dies tat er, indem er immer wieder Ausschnitte aus Peris »L’Euridice« aus dem Jahr 1600 mit solchen aus Monteverdis »L’Orfeo« von 1606 verglich. Wobei er stets betonte, um wie viel »besser« die musikalische Behandlung Monteverdis war. Wohingegen ich bei jedem Beispiel eindeutig die Version von Peri die schönere fand, eben jene, die mich in ihrer Schlichtheit und Ungekünsteltheit viel mehr berührte.

Insofern trifft auf mich diese Einschätzung nicht zu: »Euridice hat heute musikhistorische Bedeutung, weil es sich um die älteste noch erhaltene Oper der Musikgeschichte handelt. In den rund 400 Jahren seit ihrer Entstehung haben sich die Hörgewohnheiten so stark verändert, dass in heutiger Zeit das Werk von vielen Zuhörern als „zu monoton“ wahrgenommen wird. Am ehesten sprechen den heutigen Hörer das Chorlied „Auf zum Singen, zum Tanzen“ und das Flöten-Zwischenspiel in der Mitte des Werkes an. Die beiden Lamenti waren für die Entwicklung der Soloszenen in italienischen Opern bedeutsam.«

Mein Interesse für »L’Euridice« jedenfalls war geweckt und schließlich besorgte ich mir eine Aufnahme auf Tonträger davon. Diese ältere Aufnahme – mit dem »Coro Polifonico di Milano« und den »I Solisti di Milano« unter Angelo Ephrikan – überzeugt mich auch heute noch am meisten, scheint sie doch auch jene zu sein, in der der Gesang wirklich am unspektakulärsten und ohne jegliche Verzierungen aus- und herüberkommt und am konsequentesten auf jegliche Form von (dramatischer) Übertreibung verzichtet. Diese natürliche Einfachheit und Unaufgeregtheit ist es, die mich immer wieder am nachhaltigsten berührt. Wobei es anderen Menschen (und anderen Hörgewohnheiten) damit gewiss ganz anders gehen mag. Hier also die besagte Aufnahme:

Jacopo Peri (1561-1633) – »L’Euridice«

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