Unterfangen (SoSein)

Es ist eine Befreiung, mit und in der Wahrheit zu sein. Eine Befreiung zu mir selbst, zu dem, was ist und zu dem, was ich bin. Es ist gar nichts Besonderes oder Außergewöhnliches, es ist eben Dies. Besonders wird es nur dadurch, weil unser Alltag grundlegend auf Illusionen beruht und fortwährend Märchen erzählt; außergewöhnlich scheint es nur deshalb, weil wir gewöhnt sind, das Wahre zu ignorieren und die Lüge zu feiern. Befreiung davon muss nicht lichthaft oder glückselig, euphorisch oder ekstatisch sein; all das sind vorübergehende Zustände und mögliche Begleiterscheinungen, die lediglich bekunden, wie sehr wir uns zuvor verleugnet und verdunkelt, entmündigt und geknebelt haben. Wahrheit befreit nicht in flüchtige Zustände oder vergängliche Erfahrungen, sie befreit in Sein und Erkennen. Dieses Sein hat weder Standpunkt noch Halt, und das Erkennen kennt weder Beziehung noch Festschreibung. Wahrheit befreit in absolute »Gleich-Gültigkeit«, in der nichts als ist.

Im Wissen, dass es »nichts Anderes« gibt und dass das, was wir sind, Ein und Dasselbe ist, im Empfinden, dass die Vielfalt, als die wir hier alle erscheinen, einfach ein Wunder und einfach nur schön und fantastisch ist, in der Stille der Güte, dass ich nicht einen Ausdruck des Absoluten zurückzuweisen habe oder bewerten muss, verliert es an Bedeutung, welch flüchtige Bedeutung etwas gerade haben mag, ist es ohne Wert, welchen wechselnden Wert etwas gerade besitzt, spielt es keine Rolle, welche Rolle etwas gerade spielt. Was bleibt, ist dieses immer tiefere Erlieben dessen, das mich in allen Facetten spiegelt und wiedergibt, ist mein erstauntes Erleben, in welcher Fülle sich Alleines neu erfindet, ist mein verwundertes Verweilen im Unerschöpflichen von sein und ist.

Was das Erkennen betrifft, so ist »nichts Anderes« die reine und ganze Wahrheit, die absolute, einzige, vollkommene, die Mutter aller Wahrheit, die Quelle aller Quelle. Was das Sein – also mein Menschsein – betrifft, so ist »nichts Anderes«, ist »Gleich-Gültigkeit« noch immer nicht die ganze Wahrheit. Es ist die Gipfelspitze, aber nicht das Beschließende, es ist das Umrundende, nicht das Umrunden, das Vollendete, nicht das Vollenden. Diesem Augenblick, am Gipfel zu sein, werde ich nie wieder entkommen, das Sehen dessen, was ich in diesem Augenblick gesehen, wird mich nie wieder verlassen. Es ruht als GeWissen in meinem Herzen, erwacht als ErInnern in jedem Vergessen und es ist das GewahrSein in allem Begegnen. Doch als Mensch, der scheinbar dort hinaufgestiegen ist, werde ich scheinbar wieder hinuntersteigen in das Erscheinen all unsrer Realitäten, um dort mein Menschenleben zu beschließen und den Kreislauf zu beenden. Deshalb bin ich, eben weil da »nichts Anderes« ist: »ganz genau eben dies«, deshalb ist es, eben weil da nur »Gleich-Gültigkeit« ist: »ganz genau eben dies«. Die Freiheit, dies »Alles«, dies »Ohne ein Zweites« zu sein, ist auch die Freiheit, jetzt nichts anderes sein zu können als genau eben das, das ich bin. Das ist Vollendung.

Alles, jedes hat seinen Platz und seine Funktion. Wie könnte ich das Absolute durch das Relative ermessen? Warum sollte ich das Relative am Absoluten messen? Das Relative ist dem Absoluten kein Zweites, das Absolute dem Relativen kein Anderes; sie sind keine Eigenen, keine Verschiedenen, um sich gegeneinander abzugrenzen oder auszuspielen. Einzig das Absolute ist, und es erscheint einzig als Relatives – als alles und jedes. Wahrheit und Freiheit sind immer erwacht und präsent, nie zu zerstören. Das ist das Wunder des Absoluten im Relativen. Wahrheit und Freiheit können sich äußern durch alle Geschehen und Taten, sie dürfen sich bekennen durch jedes Wesen, jeden Menschen. Das ist das Wunder des Relativen im Absoluten. Die Aktualität dieser Wunder ist dieses Sein, das ist ihr Raum; ihre Aktivität ist dieser Augenblick, das ist ihre Zeit. Das ist das Wunder, zu leben, das ist das Wunder, zu sein.

Die Wahrheit weist mir meinen Platz an. Nicht den, den ich meine, inne zu haben, nicht den, den ich haben möchte, sondern den, an dem ich jetzt gerade bin. Sie zeigt mir, wer ich bin; nicht, wer ich sein möchte oder zu sein glaube, sondern wer ich jetzt gerade bin. Nicht festgelegt oder festgehalten, sondern für diesen Moment der Wahrheit, für genau diesen Augenblick offengelegt und offenbart. Die Freiheit schenkt mir alle Möglichkeit, meinen Platz anzunehmen und ihn einzunehmen – was auch bedeuten kann, diesen Platz zu verlassen, um einen anderen zu suchen. Dennoch bin ich immer an meinem Platz, denn ich kann niemals irgendwo anders sein. Das gilt ebenso für jeden anderen Menschen. Die Vertiefung jenes »Gleich-Gültigen« hat nicht zu diffuser Gleichmacherei, doch zu zärtlicher Gleichmut geführt, mich nicht zur Apathie gegenüber der Lüge, aber zur Leidenschaft für die Wahrheit verführt; sie ist nicht das Ende der Liebe, sondern der Beginn einer bedingungslosen Hingabe.

Das Absolute äußert sich als jegliches Relative, doch es erinnert mich seiner selbst in diesem Augenblick durch »genau eben dies« – als mein GeWissen und in Form all dessen, was jetzt ist; durch eine Aktion oder Reaktion, die unwillkürlich und von alleine geschieht. Dieser ImPuls, der scheinbar von außen auf mich einwirkt, scheinbar von innen von mir ausgeht, ist der unmittelbare Ausdruck des Absoluten im Relativen. Ihm kann ich mich anvertrauen, durch ihn lasse ich mein Leben bestimmen und verändern. Nicht das Annehmen oder Behaupten von Normen oder Ideen darf mich führen, sondern die Priorität von Augenblicken und die Autorität von ImPulsen. Habe ich diese Wahl getroffen, so brauche ich keine Wahl mehr zu haben. Folge ich diesen VorGaben des Augenblicks, so lasse ich ohne Vorhaben und Anstrengungen hinter mir, was sich an Vorstellungen, Vorwegnahmen und Vorverurteilungen angesammelt hat. In diesem »AkzepTanz« tanzt das Leben sich nun selbst; es gibt keine Arroganz mehr von »richtig« und »falsch«; da ist nichts, das führt, da ist niemand, der geführt wird. Das macht es mir möglich, etwas zu tun oder zu sein, wie es mir unmöglich macht, etwas zu tun oder zu sein.

Die zwei großen Irrtümer menschlicher Vorstellung, die beide auf dem Nicht-Gewahrsein von »nichts Anderes« beruhen, sind der Glaube an Getrennt- und Eigenständigkeit, Gegenüber und Gegensätzlichkeit, der Abwehr und Ausgrenzung, Wettbewerbe und Kriege, das »Gute« und das »Böse« erzeugt, sowie der Glaube an Mangel und Mangelhaftigkeit, an Unheil und Unvollkommenheit, der SehnSucht und Unersättlichkeit, Selbstversklavung und Unmündigkeit, und eine permanente Flucht aus der Wahrheit dieses Augenblicks betreibt. Diese Irrtümer haben sich in allen menschlichen Bereichen festgesetzt, in Wirtschaft und Politik, im Miteinander wie in der Arbeitswelt, in Psyche und Selbstverständnis, in Religion und Spiritualität. Sie unterhalten diese immense Unkultur eines kollektiven einander Versagens und Vorenthaltens, unter der wir alle unendlich leiden, doch die wir alle beständig bestätigen und erzeugen.

Mir ist unmöglich geworden, dieses grausame Spiel einfach mitzuspielen und so zu tun und zu sein, als würde ich nicht »wissen« und wäre ohne GeWissen. Es gibt einen inneren Zwang, gibt äußere Notwendigkeiten, diesen sich selbst reproduzierenden Kreis aus Misstrauen, Mangel und Vorenthalten zu unterbrechen. Wenn ich bleibe, was ich bin, wie kann ich da sein, was ich nicht bin? Wenn ich verweile im Augenblicklichen, wie kann ich da tun, was ich nicht bin, zu tun? Der Großen Bejahung gehorcht eine klare Verweigerung; mein unbedingter AkzepTanz darf mich bemündigen, im Wahren der Natur der Norm mich zu verwahren.

Ein Unterfangen ist ein gewagtes Unternehmen – in Hinblick auf sein Gelingen. Mithin wohl Leben selbst ein Unterfangen ist. Ich habe mich einer inneren Führung übergeben, so kann ich mich auch unterfangen, sie nach außen zu tragen. Ich bin kein Unternehmer und noch weniger ein Verkäufer, ich vermag aus Sein und Wahrheit nichts Verhandelbares oder ein Geschäft zu machen, es liegt mir nicht am Herzen, aus Poesie und Schönheit Kapital zu schlagen. Was für eine absurde Idee, »ich«, also die Erscheinung dieses Wesens hier, könne etwas »besitzen« oder »behalten«, es »mein Eigen« nennen! Wie abwegig also, es auch noch verkaufen und es dem freien Fluss des Daseins vorenthalten zu wollen. Was ich bin, ist mir gegeben, was sollte mein Sein somit anderes sein als »mich ergeben« und schenken? Ich bin geborgen in der Wahrheit und werde getragen vom Sein, welche scheinbare Sicherheit könnte mich daraus verführen, welches vorgebliche Versprechen mich (nach wohin) erlösen? Erlösung ist hier und besteht darin, sofort aufzugeben.

Von Fülle gehe ich aus und nehme sie an, von Vollkommenheit gehe ich aus und nehme sie an. Ich gehe aus von Einzigartigkeit und nehme sie an, ich gehe aus von Stimmigkeit und nehme sie an. Ich nehme sie an in allem und in jedem, ich nehme sie an in dir und in mir. Ich nehme sie niemandem fort, ich enthalte sie niemandem vor. So bin ich ausgesetzt, doch nichts anderem als der unmittelbaren Erfahrung meiner selbst. So gebe ich mich hin, doch nichts anderem als einem unbedingten Wahren dieses Augenblicks. Da ist nichts anderes als dies. Sein ist Geschenk an sich selbst, und es schenkt sich in jedem Augenblick – vollkommen, ganz, absolut und bedingungslos. Es hat uns nie etwas vorenthalten, und es ergibt sich uns völlig in allen Momenten, in denen wir ihm nichts vorenthalten und uns einfach nur schenken – als das, was wir denken, als das, was wir fühlen, als das, was wir sind. Das zu sein, mich dem zu geben, das ist mein alleinziges und augenblickliches Unterfangen.

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