Endlicher Frieden

Endlicher Frieden [24.12., Abenddämmerung]

Endlich ist Frieden!
Nicht in den Häusern,
Nicht in den Kirchen,
Doch auf den Straßen.

Licht sind die Läden,
Geschäfte, die ruhen;
Geschlossen die Kneipen,
Nur wenige Menschen.

Die nirgendhin eilen,
Die stille verweilen;
Die fröhlich flanieren,
Sich im Dasein verlieren …

Endlich ist Frieden!

(Henning Sabo)

Unvergangen

Des Bemerkens wert:

Was ich in diesem Sommer und Herbst hinter mich brachte, war bereits Ende letzten Jahres vorauszusehen: die Wohnung meiner Mutter aufzulösen und leerzuräumen. So hatte ich schon früh begonnen, die Tageszeitungen zu sammeln (und auf einen Haufen zu schichten), die in den Wochen des Krankenhausaufenthaltes meiner Mutter von ihr nicht gelesen werden konnten.

Ich habe schon unzählige Male Wohnungen aus- und ebenso wieder eingeräumt, und auch, wenn diese Räumung hier gänzlich anders werden würde, zum einen, weil es nicht meine eigene Wohnung und nicht meine eigenen Sachen waren, aber vor allem, weil meine Mutter ja nur das Wenigste davon ins Alters- und Pflegeheim mitnehmen konnte, so würde es doch gewiss immer wieder etwas einzupacken geben und ich also in jedem Fall ab und zu etwas Zeitungspapier gebrauchen können.

Nun, das brauchte ich wirklich, wenn auch tatsächlich nur sehr wenig, und so griff ich immer mal wieder auf einen der inzwischen zwei großen Stapel Zeitungspapiere zurück, um mir eine kleine Menge davon bereit zu legen. Natürlich las ich so auch hin und wieder das eine oder andere auf den Seiten, die ich auseinanderfaltete oder zusammenknüllte. Was mir stets zu Bewusstsein brachte, wie sehr dies alles bereits vergangen und wie uninteressant und bedeutungslos es dadurch geworden war.

Was mir besonders auffiel, waren die vielen Sportmeldungen und die dazugehörigen Fotoaufnahmen. Die waren einander so ähnlich und immer wieder gleich, so nichtssagend und letztlich bedeutungslos, dass es nur noch absurd und völlig unbegreiflich erschien, dass all dem irgendwann einmal irgendeine Aufmerksamkeit geschenkt worden war.

Das andere, das mir immer wieder auffiel, waren die Todesanzeigen. Auch die waren einander sehr ähnlich, allzu oft gab es die gleichen Formulierungen, die gleichen Aussagen, die gleichen Redewendungen. Dennoch aber waren sie durch die vergangene Zeit nicht uninteressant geworden, sie hatten nicht an Bedeutung verloren, sondern, wie es mir eher erschien, sogar noch gewonnen. Sie alle hatten einen Kern, eine »Seele« gewissermaßen, der auf seiner Bedeutung bestand und sich der Vergänglichkeit zu widersetzen schien. Dieser Kern setzte sich aus drei Teilen zusammen, aus einem Namen, einem Geburtsdatum und einem Todesdatum. Diese drei Komponenten schienen zusammen einen geheimnisvollen Raum zu kreieren, sie ließen, obwohl man darüber ja eigentlich nichts erfuhr, ein ganzes Leben präsent werden und einen – ja völlig unbekannten – Menschen wieder Form annehmen und vor dem geistigen Auge erscheinen. Sie genügten, um aus dem Nichts ein Bild zu schöpfen, das insofern unvergänglich ist, als es durch jeden Menschen immer wieder neu gelesen und geschaffen werden wird.

Eine dieser Anzeigen hat mich sehr berührt und so habe ich sie aufgehoben. Heute möchte ich sie, zumindest ihren Text, mit dir teilen, denn heute jährt sich ihr Anlass ein weiteres Jahr. Neben einem Foto, das einen aufgeweckten kleinen Jungen zeigte in dem, was man früher einmal ein »Sonntagskleid« nannte, in diesem Fall eine Art Anzug mit kurzer Hose und westenähnlicher Jacke, stand der folgende Text:

H** S**
* 15.3.1940 † 22.12.1948
Genau vor 65 Jahren bist Du, nur 100m von Deinem Elternhaus entfernt, in *** über die ***-Straße gelaufen. Es gab zu jener Zeit noch nicht viele Autos, aber in diesem Moment, als Du die Straße überqueren wolltest, kam ein Lastwagen. Den Lastwagen hattest Du noch passieren lassen, aber sein Anhänger hat Dir Dein junges Leben genommen.
Noch immer denken wir an Dich. Du warst und bist nicht vergessen. Ruhe in Frieden.
Deine Schwester B**, ***, den 22. Dezember 2013.

Steve Reich – »Piano Phase«

Der Link zum Sonntag:

Ein weiteren Komponisten vor in meinem CD-Schränkchen der Moderne, womit wir bei Steve Reich sind, den ich schon einmal in einem anderen Kontext im Mai dieses Jahres mit seinem Stück »Drumming« (1971) hier vorgestellt habe – mehr Informationen siehe dort.

Heute habe ich ein noch frühere Komposition ausgewählt, das 1967 entstandene »Piano Phase« für zwei Klaviere, in dem Reich zum ersten Mal seine Technik des »Phasing« von Bandmaschinen (»Tape Music«) auf live gespielte Instrumente überträgt.

Eine Kompositions-Technik, die sehr bestimmend für sein Werk werden sollte und sich oft bereits schon im Titel seiner Stücke bezeugt: »Violin Phase« (1967), »Phase Patterns for four electric organs« (1970), »Marimba Phase« (1980), »Electric Guitar Phase« (2000).

Ohne weitere Worte hier also nun in einer Live-Aufnahme aus dem Jahr 1970 mit Steve Reich und Art Murphy an den Pianos:

Steve Reich – »Piano Phase«

Und als besondere Zugabe das Stück, ja für zwei Spieler komponiert, in einer Live-Interpretation durch nur einen Pianisten – der es vielleicht zuweilen etwas an Inspiration und Lebendigkeit mangelt, aber dennoch, was für eine Leistung an Koordination!

Rob Kovacs – »Piano Phase« solo an zwei Flügeln

Bestands-Aufnahme

Bestands-Aufnahme

Auch alles, worauf wir bestehen,
Wird schließlich vergehen.
Auch alles, woraus wir bestehen,
Wird schließlich vergehen.

Nichts kann es begründen,
All unser Bestehen;
Doch können ergründen
Wir unser Vergehen.

Denn alles, worauf wir bestehen,
Wird schließlich vergehen.
Denn alles, woraus wir bestehen,
Wird schließlich vergehen.

Jetzt unser Leben freizugeben,
Lässt jeden Augenblick uns neu ergründen;
Jetzt unser Leben frei zu geben,
Lässt diesen Augenblick uns neu begründen.

Ja, alles, worauf wir bestehen,
Wird schließlich vergehen.
Ja, alles, woraus wir bestehen,
Wird schließlich vergehen.

(Henning Sabo)