James Blake – »The Colour in Anything«

Der Link zum Sonntag:

Heute stelle ich eine CD vor, von der ich selbst nicht mehr weiß, wie ich zu ihr gekommen bin. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, sie bewusst gekauft oder den Künstler und seine Musik tatsächlich „gekannt“ zu haben. Einige der Lieder auf „The Colour in Anything“ von James Blake sind mir seltsam vertraut und andere seltsam fremd; einzelne sind faszinierend und machen mich neugierig, mehr davon zu hören, auf Dauer gehen mir dann aber Musik und Gesang doch so auf die Nerven, dass ich mir das (sehr lange) Album wohl nicht in einem Durchgang oder ohne das Überspringen einiger Titel anhören könnte.

Andere vermag es wohl auch in seiner Gänze zu begeistern – und James Blake scheint eine international anerkannte Größe –, wie diese zwei Kritiken aus der „ZEIT“ und der „Frankfurter Rundschau“ belegen:

Das Aquarell zeigt einen jungen Mann im Mantel mit aufgestelltem Kragen, der lange Schrägpony verdeckt ein Auge – es muss James Blake sein. Er steht auf einem Hügel in englischer Landschaft, neben ihm eine knorrige, unbelaubte Weide, deren Äste die Form einer Frau annehmen, schwere Wolken am Himmel. „The Colour In Anything“ steht dort, wo sich der Regen ankündigt. Es ist der Titel von Blakes neuem Album, das er nun nach drei Jahren Arbeit ohne großes Tamtam nachts veröffentlicht hat. Das Aquarell auf dem Cover hat der 83-jährige Quentin Blake gemalt, nicht mit ihm verwandt, aber ein britischer Jahrhundertillustrator, der schon viele Bücher von Roald Dahl mit seinen Farben ausgekleidet hat.
Seit seinem preisgekrönten zweiten Album „Overgrown“ hat James Blake nach neuen Farben, Tönen, Tonfarben, Farbtönen gesucht. Er fühlte sich nicht mehr wohl in der Rolle des einsamen Studiomelancholikers, des von der Liebe enttäuschten Bastlers aus dem Norden von London. Post-Dubstep-Crooner, Soul-Dekonstruktivist, Emotionssynthetiker der Generation Internet: Offenbar hatten schon alle ein Bild von ihm, als er selbst noch gar nicht wusste, wer er ist. Jetzt, mit 27, hat er aufgeholt und mit sich aufgeräumt, seine Klangwelt neu geordnet und die Studiotür weit geöffnet. Man kann sagen, er ist dort angekommen, wo Popmusik fortgeschrieben wird, und es ist eine Freude, ihm dabei zuzuhören.
Sein Instrumentarium ist dasselbe geblieben: weite Hallräume, Klangdichte und deren Auflösung, fein texturierte Schleifen, gleißende Synthesizer, überraschendes Harmoniespiel, tiefe Bässe, das Klavier als tastendes Leitmedium und über allem seine Stimme, deren Charakterstärke im steten Wechsel zwischen Verletzlichkeit und überzeugtem Brustton liegt, mal menschlich intim, mal ins Androide verfremdet.
Der Einfluss anderer Künstler macht sich dennoch klanglich bemerkbar, Blake lässt ein wenig mehr Buntheit zu. Sonniges Wetter herrscht zwar nur in den seltensten Momenten, aber seine Songs schillern immerhin in 50 Schattierungen von Grau, wie der Himmel über England.
Wie sich in ihrem gemeinsamen Song „Fall Creek Boys Choir“ schon 2011 andeutete, haben sich in James Blake und Justin Vernon zwei Brüder im Geiste gefunden. Jetzt haben sie endlich ihre Vorliebe für Stimmschichtungen, Vocoder-Spielereien und Popchoräle in ein paar weitere Stücke gegossen. Das kryptische Musikermanifest „Meet You In The Maze“ und das kopfnickende „Need A Forest Fire“ sind wunderbare Beispiele dessen.
Blakes Songlyrik kreist auf dem gesamten Album um neue und alte Liebe, um den Schmerz, wenn sich zwei voneinander entfernen und um die Aufbruchstimmung, wenn sich zwei einander annähern. Diese Gefühlswelten hat er, teilweise unfreiwillig, in den vergangenen drei Jahren ausgiebig erforscht. Wenn er sie ausbreitet, sucht er immer wieder Konzentration im Gesang, a cappella oder lediglich begleitet vom Klavier. Er weiß, wie er textliche Motive klanglich übersetzt, und das ist durchaus eine seltene Qualität im Pop. In der musikalischen Ausdeutung ihres Innenlebens sind wenige so versiert wie er.
Trotz einer dezenten stilistischen Öffnung bleibt James Blake also dem Prinzip der Introspektion treu. Seine Musik der Innerlichkeit knüpft genau dort an, wo er vor drei Jahren verstummt ist. Dabei bleiben seine Songs strukturell und inhaltlich so wolkig wie das Titelbild des Albums. Ein Aquarellist ist er nämlich selbst: Er singt uns „The Colour In Anything“.

(Rabea Weihser, ZEIT online)

Am Ende singt er dann nur noch mit sich selber in einem vielstimmig wispernden, brummenden und hummenden Chor; all die Stimmen und Laute, die ihn dabei umflackern, sind Echos aus seinem Innersten, Echos des Ich. „It’s me who makes the peace in me“, singt James Blake mit sachtem Falsett sowie – verfremdet, manipuliert und vervielfacht von Vocodern und anderen elektronischen Geräten – mit engelshaft hoch hauchender, körperlos gewordener Stimme sowie aber auch mit einem brockig zerschnarrten Bass. „Nur ich bin es, der in mir Frieden erschafft“, singt der doppelte, dreifache, vierfache James Blake am Ende seines neuen, fast achtzig Minuten langen Werks.
In den sechzehn diesem Stück vorangegangenen Liedern hat er unermüdlich und unbeirrt seine scheiternden Versuche geschildert, sein Ich mit einem Du zu verbinden, mit einem anderen Menschen glücklich zu werden, und das heißt: aus dem nur mit den eigenen Echos und dem eigenen Frieden gefüllten Ich hinaus in die Welt zu treten und durch die Öffnung zu einem Anderen selber ein Anderer zu werden.
Das hat er alles versucht, aber nichts ist ihm gelungen. Wann immer er sich verliebte, wurde er verlassen, oder die Liebe starb schmerzhaft in seinem Herzen. Meist herrscht Funkstille – „Radio Silence“ ist der Titel des eröffnenden Lieds – zwischen ihm und der Welt und den anderen Menschen. So kappt er im siebzehnten und letzten Song alle Verbindungen nach Außen und begnügt sich wieder ganz mit sich selbst. „Meet You in The Maze“ – „ich treffe Dich im Irrgarten“, ruft er einem anderen Menschen noch hinterher, bevor er sich glücklich zurück in den Irrgarten seiner Innerlichkeit begibt.
„The Colour in Anything“ heißt dieses neue, nunmehr dritte Album James Blakes, eine wunderschöne, virtuos komponierte und gesungene Platte mit Melodien, die sich vielleicht nicht beim ersten Hören erschließen, aber nach dem zweiten und dritten Mal dafür umso nachhaltiger im Gedächtnis verhaken; ein Hochamt der gegenwärtigen Songschreiberkunst – und ein in seinem ausweglosen Narzissmus tief berührendes und deprimierendes Werk.
Das 2011er Debüt „James Blake“ war nicht weniger als epochal – so konsequent verfugte der damals 22-jährige Sänger seine musikalische Subjektivität mit den neuesten digitalen Produktionsweisen. Insbesondere seine Stimme machte er dergestalt zum ästhetischen Material, dass man nicht mehr zu erkennen vermochte, wo die Grenze zwischen ihr und den Maschinen verlief – ein Ingenieur des Ich, ein Narziss des elektronischen Lieds. Auf seinem zweiten Album, „Overgrown“ aus dem Jahr 2013, begann sich Blake andere und „fremde“ musikalische Klänge anzuverwandeln und aus der reinen Introspektion auszubrechen. Auf „The Colour in Anything“ herrscht nun aber wieder ganz der Narzissmus und die Zentrierung auf des eigene Selbst – in den Texten ebenso wie in der Musik. Trotz aller klanglichen Variationen samt Samples und prominenten Duettpartnern (Frank Ocean und Bon Iver) liegt eine monotone saturnische Farblosigkeit über der Szene.
James Blake ist ohne Zweifel einer der großen, prägenden Popkünstler dieser Dekade, eine ganze Generation ist von seiner Art des Songschreibens und seiner Verschränkung von „natürlichen“ und „artifiziellen“ Sounds inspiriert.
In der lässigen Anverwandlung der neuesten Technik für die ältesten romantischen Klagestimmungen wirkt seine Kunst heute ebenso prometheisch wie pueril, ebenso größenwahnsinnig wie kleinlaut verwinselt. Man könnte auch sagen: Die Musik, die er in die Welt gesetzt hat, wirkt heute weiser und welthaltiger als James Blake selbst. An der dritten Station seines Bildungsromans ist er zu einem Künstler geworden, der von seiner Kunst überholt worden ist – der sich selbst nicht mehr zur Gänze begreift und sich aus der von ihm erschaffenen Komplexität wieder zurück in einfachere Verhältnisse wünscht.

(Jens Balzer, Frankfurter Rundschau)

James Blake – »The Colour in Anything«

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