Der Link zum Sonntag:
Vor einigen Wochen, am 20. November 2013, kurz nach Abbruch seiner aktuellen Programm-Tournee und unmittelbar nach Bekanntgabe seiner Krebserkrankung, ist Dieter Hildebrandt mit 86 Jahren gestorben.
Es ist ein besondere Auszeichnung, wenn ein Künstler – unabhängig davon, wie sehr ihn sein Publikum oder die »große Mehrheit« zu schätzen versteht – vor allem von seinen Kollegen verehrt wird und ihnen als Vorbild und Maßstab für Integrität und Qualität gilt. Dieter Hildebrandt war einer dieser Künstler, und das über Jahrzehnte hinweg. Ein »Homo politicus« mit Leib und Seele, engagiert und hoch gebildet, mit Witz, Wachheit und Wahrhaftigkeit. Ein Wahrnehmer und Weckrufer bundesrepublikanischer Wirklichkeit, geachtet (zumindest beachtet) auch von denen, die er kritisierte und die ihn kritisierten. Ein zorniger, empfindsamer, ein klarer, ein lebensfreudiger, im alltäglichen Leben recht normaler und fast spießiger. Aber einer, den in jeder Hinsicht etwas auszeichnete, was man – auf jeder Bühne, nicht nur heute und nicht bloß in diesem Lande – selten findet und schmerzlich vermissen wird: Aufrichtigkeit und Authentizität. Was ihm zu manchen Zeiten den (auch anderen verliehenen) Ehrentitel »Gewissen der Nation« eintrug.
Ich bin groß geworden in einer Zeit, in der das Fernsehen das tägliche Leben mehr und mehr beeinflusste, bestimmte und nach und nach eroberte. Aber es war ein anderes Fernsehen als wir es heute kennen, eines mit nur drei Sendern und mit Sendepausen, eines, das sich noch nicht anbiedern musste, sondern eines, das noch etwas anzubieten suchte. Es war ein motiviertes, verspieltes, seine Möglichkeiten auslotendes und erprobendes Fernsehen, eines, das noch unmittelbar erfahrbar einem kulturellen Auftrag verpflichtet war. Das Journalisten hervorbrachte, vor denen man noch echte Hochachtung haben konnte, das Filme und Beiträge zeigte, die uns berührten und fesselten und deren Sätze und Bilder sich festsetzten in unseren Herzen oder sich in die kollektive Volks-Seele brannten; wo sie noch heute präsent und abrufbar sind. Ein Fernsehen, schon damals den Zugriffen von Märkten und Mächten unterlegen, ohne ihnen bereits zu unterliegen, noch nicht dominiert von Einschaltquoten und Niveauabsenkungen, lediglich naiv umworben im Streit um – im Nachhinein – so niedliche Nichtigkeiten wie Schleichwerbungen oder parteipolitische Ausgewogenheiten.
Das Fernsehen jener Zeit war kein Formatfernsehen, es war noch Fernsehen mit Format. Es hat unser Wahrnehmen geprägt, noch ohne unsere Wahrnehmungen umzumünzen, es hat uns herausgefordert, statt uns zuzumüllen. Es hat uns zu kritischer Auseinandersetzung erzogen, nicht zu einem kapitulierenden Konsumieren. Es wollte uns noch mit Anspruch und Qualität binden und bilden, nicht mit bloßer Billigkeit blenden noch mit Unbill verblöden. Die Menschen, die es zu Größen und Institutionen machte, sind es geworden, weil sie Charakter zeigten, und nicht, weil sie ihn vermissen ließen, sie waren echte Persönlichkeiten, sie brauchten sie nicht zu spielen oder darzustellen. Eine dieser Institutionen, einer dieser Großen war Dieter Hildebrandt. Seine Präsenz in Sendungen wie »Scheibenwischer« oder »Notizen aus der Provinz« hat auch mich und meine Auseinandersetzung mit den politischen Realitäten meines Heimatlandes immer wieder angestoßen und tief geprägt, sie war Teil meiner freien Meinungsfindung und Meinungsbildung und ein fester Bestandteil meiner alltäglichen Realität.
Inzwischen finden sich im Internet zahlreiche Dokumente mit Beiträgen von Dieter Hildebrandt, Interviews, Gastauftritte in verschiedenen Kabarett-Sendungen, Aus- oder Mitschnitte von Bühnenprogrammen, Aufzeichnungen ganzer Fernseh-Sendungen. Manche davon schrieben Fernsehgeschichte und sind in dem, was sie (als Prinzip) offenlegen, leider immer noch hoch aktuell. Zum Beispiel der Scheibenwischer zum Rhein-Main-Donau-Kanal, oder der zum Unfall in Tschernobyl, der den bisher einmaligen Fall in der deutschen Fernsehgeschichte auslöste, dass ein einzelner Sender, der Bayerische Rundfunk, die Sendung passiv zensierte, indem er ihre aktuelle Ausstrahlung aktiv verhinderte.
Ich möchte mich hier auf drei Beispiele beschränken, die für mich das Typische und Besondere von Dieter Hildebrandt sehr schön zum Ausdruck und zum Klingen bringen. Die ersten beiden sind Beiträge, in denen Hildebrandt seinen Text in den Habitus und Sprachgebrauch eines anderen Menschen (bzw. in beiden Fällen eins Politikers) kleidet.
Im ersten Beispiel lässt er so den damaligen (1985) Bundeskanzler Helmut Kohl fiktiv ein Gedicht (»Abendlied«) von Matthias Claudius zitieren, die erste Strophe, »Der Mond ist aufgegangen«. Indem Hildebrandt das eigentliche Gedicht exzessiv mit den für Kohl typischen Worthülsen und Sprechblasen torpediert, es so jeder Poesie beraubt und es bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, lässt er damit gleichzeitig all dieses »Nichtssagen« und Auftürmen verbaler Scheinwelten sich selbst bloßstellen und entlarven. Ein genialer Kunstgriff, der unmittelbar fassbar und fühlbar macht, wie sehr der von allen Politikern praktizierte »Gebrauch der Sprache« diese nur noch missbraucht und verhunzt und nichts als selbstgefälliges Blabla und bewusstloses Sich-(Ver-)Äußern kommuniziert, das sich allzeit und höchst bedeutungsschwanger gibt, ohne jemals irgendetwas von Bedeutung zu entbinden. Auch wenn Hildebrandt sich hier auf einen bestimmten Politiker bezieht, zeitloser und allgemeingültiger lässt sich Inhaltsentleerung und Sprachabtötung nicht auf den Doppelpunkt bringen:
So sehr Dieter Hildebrandt von seinen Kollegen geschätzt wurde, so sehr hat er auch deren Qualitäten zu schätzen gewusst und sich für sie eingesetzt. Den folgenden Text, eine fiktive »Abschiedsrede Herbert Wehners vor dem Parlament«, ließ er 1983 im »Scheibenwischer« von Thomas Freitag interpretieren. Als er diesen Text später selbst einmal vorgetragen hat, fügte er vorneweg: »Ich habe mir immer vorgestellt, ich habe es mir gewünscht, eine Abschiedsrede von Herbert Wehner zu hören, die er so gehalten hätte, wie ich sie mir vorstellen hätte wollen. Daraufhin habe ich mir den Text, den ich ihm gerne geschickt hätte, selbst verfasst – keine Angst, ich mache ihn nicht nach, das kann nur Thomas Freitag, und für den habe ich das hier einmal geschrieben.«
»Abschiedsrede Herbert Wehners vor dem Parlament«
Leider ist in dieser Aufzeichnung der letzte Satz etwas abgeschnitten: »Ich hoffe, das Hohe Haus wird mir meine Leidenschaft verzeihen, ich hätte Ihnen die Ihre auch gerne verziehen.« Ein schöner Abschluss, der wohl auch heute in Parlament und Politik auf keine Erwiderung treffen, sondern echolos und ungehört in der dumpfen Beliebigkeit versickern würde.
Kon-genial ist hier nicht nur Thomas Freitags Nach-Ahmung der legendären »Auftritte« von Herbert Wehner im Bundestag, die damals bereits das besaßen, was man heute »Kultstatus« nennen würde, sondern auch Hildebrandts Fähigkeit, sich Wehners Eigenheiten zu bedienen, um dadurch all das zu transportieren und in seinem eigenen Duktus zu platzieren, was er dem »Hohen Haus« wohl gerne selbst einmal gesagt hätte. So lassen sich Hildebrandts Sprachwitz und Anspielungsfähigkeit wunderbar genießen.
Das dritte Beispiel ist ein Aufzeichnung aus dem Jahr 2004, eine Lesung (und natürlich auch eine »Sprechung«) aus seinem Buch »Vater unser – gleich nach der Werbung«, in dem er sich vor allem mit dem Medium Fernsehen und seiner Entwicklung auseinandersetzt. Das natürlich in der für ihn typischen Art umrankt von vielen Bezügen zu aktuellen (politischen) Themen und Geschichten aus seiner eigenen Geschichte.
(1. Teil – mehr politisch-aktuelle Bezüge):
Dieter Hildebrandt – »Vater unser – gleich nach der Werbung« (Teil 1)
(2. Teil – mehr literarisch-besinnlich):
Dieter Hildebrandt – »Vater unser – gleich nach der Werbung« (Teil 2)
Zum Abschluss noch einen Link zu Andreas Rebers‘ sehr schönem Abschiedslied für Dieter Hildebrandt.
Pfiat di God, Dieter!