Der Link zum Sonntag:
Wo es Menschen gibt, da gibt es auch Musik. Und wo Musik entsteht, entstehen zwei Arten von Musik: Musik mit Text (gesprochen oder gesungen) und Musik – mit Gesang vielleicht oder unter Verwendung von Stimmen, doch – ohne Text, also rein klangliche Musik.
Rein klangliche Musik ist sich selbst genug und »spricht«, bzw. (er)klingt für sich. Hier spielt die Musik die Haupt- und überhaupt einzige Rolle, sie trägt sich selbst und ist das, was zählt. Spielen und erklingen Musik und Text zusammen, dann (er)zählt vor allem der Text, die Musik hat ihm zu dienen und meist eine untergeordnete und nur in dieser Form »tragende« Rolle zu übernehmen. Wobei es auch hier sehr selbstbewusste und eigenständige Musik gibt und ebenso Texte, die eher wie der Musik hinzugefügt wirken und sehr verzichtbar erscheinen.
Reine Klang-Musik öffnet einen sehr weiten, offenen, losgelösten Raum, und auch, wenn sie in ihrer Funktion festgelegt sein mag, so kann sich doch jeder Mensch sehr frei darin (und dazu) bewegen und sie auf sehr eigene Art für sich deuten und entdecken. Text-Musik ist wesentlich bestimmter und festgelegter, ihr Raum ist verengter und der Klang angebunden an den Text und seine Funktion. Der Klang ist nicht mehr frei und ungebunden, und wenn der Text eine Sprache benutzt, die ich verstehe, dann kann auch ich diesen Klang nicht mehr frei (vom Text und seiner Bedeutung) und bloß als Klang empfangen und empfinden.
Die Musik, die wir heute zumeist hören und konsumieren, die moderne »Populär-« oder eben Pop-Musik, ist fast ausnahmslos Text-Musik, die uns irgendeine Geschichte erzählt oder Botschaft vermittelt. Musik ist hier zu einem »Meinungs-Träger« geworden, zu einem Botschafter, der Einstellungen und Ausrichtungen bekundet und Ansprüche oder Bekenntnisse kundtut. Sie dient vor allem der Identifikation und der Bestätigung und Bekräftigung von Gemeinsamkeit und Abgrenzung, von Empfindung und Meinung.
Solcher Art von Musik geben wir uns nicht nur einfach hin oder hören uns in sie ein, sondern wir benutzen sie, um mit ihr Zugehörigkeiten zu proklamieren und in sie – und in ihre Protagonisten – hinein unsere Sehnsüchte und Bedürfnisse zu projizieren. Musik und Text dienen uns dazu, uns selbst und unsere Positionen in und zur Welt zu definieren. So entstehen regel(ge)rechte »Identifikations-Hymnen«, Lieder, die wir uns immer wieder und immer lauter vorspielen müssen und die uns und der Welt verkünden sollen, wer wir wirklich sind, wie wir wirklich fühlen und was wir wirklich denken.
Die vorherrschende Sprache in der Pop-Musik ist das Englische, und die meisten Deutschen sind dessen mächtig genug, um zumindest ein »We are the Champions« mitgrölen zu können. Das Französische wird vielen schon schwerer fallen, und außer vielleicht einem »Non, je ne regrette rien« wird uns dazu sowieso nicht viel einfallen. Textzeilen in anderen Sprachen werden uns nur dann als individuelle »Identifikations-Hymnen« dienen, wenn wir diese Sprache sehr gut kennen oder eine besondere Beziehung dazu haben. Am unmittelbarsten »ansprechen« werden uns Texte in unserer eigenen, in unserer Mutter-Sprache.
In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich Quantität und Qualität deutschsprachiger Texte in der Pop-Musik stark entwickelt, sodass es hier inzwischen in großer Bandbreite möglich ist, seine persönlichen »Identifikations-Hymnen« zu finden und mitzusingen, ohne dafür auf die englische Sprache oder auf die Beschränktheiten des deutschen Schlagers zurückgreifen zu müssen. Zuweilen finden sich – und das in jeder Gattung – sogar richtig poetische und anspruchsvolle Texte und ebenso Reime, die auch ohne Musik noch sprechbar und stimmig sind.
Musik mit deutschsprachigen Texten, zuweilen auch Texte ohne Musik, z.B. als Hörbuch, Gedicht-Rezitation oder Kabarettisten-Programm, daraus besteht eine weitere Unterabteilung meiner CD-Sammlung. Sie befindet sich im bereits erwähnten roten »CD-Wändchen« und nimmt dort etwa zwei Schübe ein. Eine ziemlich bunte, breit gestreute Mischung, gewiss nicht repräsentativ und auch nicht sehr umfangreich.
Das erste, was mir dort in der alphabetischen Reihung der Musik mit deutschen Texten in die Hände fällt und vor Ohren kommt, ist eine der wenigen (Single-)EPs, die ich besitze, sie stammt von Curse und heißt »Gangsta Rap«. Deutscher Hip-Hop also, die einzige Aufnahme, die ich von diesem Genre (im engeren Sinne) habe und wohl auch die einzige, die ich wirklich davon kenne und wiedererkennen würde.
Dieses Lied – dieser Song? 😉 – ist ein Beispiel dafür, dass ich auch Text-Musik vor allem als rein klangliche Musik wahrnehmen kann. Wird der Text einer Text-Musik in einer Sprache gesungen oder rezitiert, die ich nicht kenne oder nicht verstehe, ist das ja sowieso der Fall, dort nehme ich auch den Text nur als zusätzliches Klang-Gebilde wahr. Je weniger ich den Text verstehe, umso mehr kann und wird die Musik für mich reiner Klang sein. Beherrsche oder kenne ich die Sprache, ist sie aber nicht meine eigene, so kann ich den Text und sein Verstehen zuweilen noch zu einem gewissen Grade »ausblenden«, was bei vielen Texten in der Pop-Musik ja ein durchaus schätzenswerter Vorteil ist!
Wird etwas in meiner Muttersprache gesungen oder gesprochen, am Nebentisch zum Beispiel oder eben im Zusammenklang mit Musik, so ist es fast unmöglich, das nicht zu verstehen und den Text und seine Bedeutung nicht wahrzunehmen; zumindest dann, wenn es in Hochdeutsch – oder im mir vertrauten Dialekt – erklingt. Selbst, wenn ich meine Ohren willentlich »zuklappe«, Sprache und Bedeutung werden doch in mich dringen und in irgendeiner Form wahrgenommen werden.
Dass ich das hier vorgestellte Lied dennoch fast ausschließlich als Klang-Musik wahrnehmen kann, hat mehrere Gründe. Zum einen ist für mich Musik im Wesentlichen immer Klang. Selbst, wenn ein Text vorhanden ist, ist seine Rolle für mich erst einmal nebensächlich oder untergeordnet. Zum anderen nutze und benutze ich Musik nur noch selten als »Identifikations-Medium« für mich. Die Zeiten sind vorbei, in denen ich Lieder als Meinungs- oder Gefühls-Verstärker brauchte und gebrauchte und sie immer wieder und immer lauter spielen und den Text voll Inbrunst mitsingen musste. Dennoch gibt es natürlich Texte, die mich nach wie vor stark berühren, in mir ein bestimmtes Gefühl auslösen und mich unwillkürlich die Faust ballen oder in Strömen Tränen fließen lassen. Das aber geschieht in der zufälligen Wieder-Begegnung und nicht im bewussten Aufsuchen, um es willentlich auszulösen.
Zu guter Letzt gehöre ich, Du wirst es dir denken können, nicht der oder irgendeiner Hip-Hop-Szene an. Ich bewege mich nicht in diesen Kreisen, habe auch keinen Kontakt zu solchen, ich weiß weder, wie sich die Realität für diese – zumeist ja sehr jungen – Menschen darstellt, noch weiß ich, wie sie versuchen, sich diese Realität auszumalen und zu gestalten; ich kann nur ahnen und annehmen, dass mir beides wohl eher fremd sein wird. Der Text von Curse macht diese Szene und ihre Inszenierungen ein wenig vorstellbar, aber ihre Selbstreflexionen und die Einschätzungen der Rapper untereinander, um die es in diesem Lied ja auch geht, haben nichts gemein mit mir und meiner Realität. Für mich ist »Gansta Rap« einfach ein gutes Stück Musik mit einem »fetten Beat«, bei dem der Text für mich im Wesentlichen ausgeblendet bleibt.
Apropos »ausblenden« und um diesen Essay endlich zu beenden, beim folgenden Beitrag handelt es sich um ein (offizielles) Video, also um eine Medium, das mich nicht nur akustisch, sondern vor allem auch visuell für sich einzunehmen versucht. Zwar ist der Seh- so etwas wie unser Leit-Sinn und jener, über den wir uns vorrangig orientieren und zurecht finden, aber im Gegensatz zum Hören lässt sich das Sehen relativ leicht ausblenden und außer Kraft setzen. Ich muss ja nicht hinsehen, ich kann woanders hinschauen oder die Augen schlicht schließen, dann »hört« das Visuelle für mich auf zu existieren. Ein gravierender Unterschied zum Hören, dem ich mich, auch wenn ich nicht explizit hin-höre oder sogar bewusst weg-höre oder nicht-höre, doch kaum entziehen und verweigern kann. Und ein entscheidender Vorteil, von dem ich bei diesem Video auch Gebrauch mache, da es mir wie der Text nur wenig entspricht und zu sagen hat: