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Arvo Pärt, 1935 in Estland geboren, hatte sich bis zum Ende der 60er Jahre in kompositorischen Formen des Neoklassizismus, der Zwölftontechnik, des musikalischen Serialismus und der Collage-Technik ausprobiert, ohne darin einen adäquaten Ausdruck (seiner Spiritualität) oder Erfüllung (als Komponist) zu finden. Nach einer schöpferischen Pause entwickelte er Mitte der 70er Jahre seinen persönlichen Stil, den er »Tintinnabuli« nannte.
Über diesen Stil hat Pärt u.a. folgendes geäußert: »Tintinnabulation ist ein Ort, den ich manchmal betrete, wenn ich nach Antworten suche – in meinem Leben, meiner Musik, meiner Arbeit. In meinen dunklen Stunden bin ich der Überzeugung, dass alles da draußen keine Bedeutung hat. Das Komplexe und Vielseitige verwirrt mich nur, und ich suche nach Einheit. Was ist es, dieses eine, und wie finde ich den Weg dorthin? Die Spuren des Vollkommenen erscheinen in vielerlei Weisen – und alles Unwichtige fällt einfach ab.« / »Tintinnabuli ist die mathematisch exakte Verbindung einer Linie mit einer anderen …, die Regel, bei der die Melodie und die Begleitstimme … eins sind. Eins und eins ergibt eins – nicht zwei. Das ist das Geheimnis dieser Technik.« / »Ich könnte meine Musik mit weißem Licht vergleichen, in dem alle Farben enthalten sind. Nur ein Prisma kann diese Farben voneinander trennen und sichtbar machen; dieses Prisma könnte der Geist des Zuhörers sein.«
Das Ziel dieses Stils ist eine Reduktion des Klangmaterials auf das absolut Wesentliche. Kompositionstechnisch bestehen Pärts Tintinnabuli-Werke aus zwei Stimmen: Eine Stimme besteht aus einem Dur- oder Moll-Dreiklang, die zweite ist die Melodiestimme, die nicht zwingend in derselben Tonart steht wie die erste. Beide Stimmen sind durch strenge Regeln miteinander verknüpft. Der kleinste musikalische Baustein ist der Zweiklang, weshalb auch die Melodiestimme aus zwei Stimmen besteht. Die daraus entstehenden Gebilde entbehren trotz der Einfachheit des Materials und des Ziels der Reduktion auf das Wesentliche nicht der Komplexität. Mit Hilfe alter Techniken wie des Proportionskanons entwickelt er Formen, die durch ihre Regelmäßigkeit große Ruhe ausstrahlen. Statische Dreiklänge repräsentieren die Ewigkeit, dynamische Melodien die Vergänglichkeit der Zeit. Ein schönes Beispiel dafür ist sein 1977 geschaffenes – zweiteiliges (Ludus, Silentium) – Werk »Tabula rasa«, Konzert für zwei Violinen (bzw. Violine und Viola), präpariertes Klavier und Streichorchester.