Abseits von Überholspuren

Des Bemerkens wert:

Eine Bank hier in der Gegend macht Werbung damit, dass sie »mein Vermögen auf die Überholspur bringen« wird. Eine Bank brauche ich wohl nicht zu fragen, was sie denn unter »(meinem) Vermögen« versteht, ich denke, dass ihre Begriffsdefinition da eher einseitig ausfallen wird; aber vielleicht sollte ich sie dennoch fragen, was sie denn mit »Überholspur« meint? Warum sollte sich mein Vermögen auf eine solche begeben? Wen oder was sollte es dort überholen? Sich selbst? Um solchermaßen zu verschwinden? Mich? Um – zumindest für mich – zu schwinden? Soll es sich beschleunigen, also flüchtiger werden? Oder überhaupt: ein Flüchtender, ein Flüchtiges?

Wahrscheinlich soll es auf dieser Spur wohl andere Renditen überholen, also größere Prozentsätze herausholen und sich somit schneller anhäufen und anwachsen. Ich muss kein Physiker sein, um mir ausrechnen zu können, dass dort, wo mehr herausgeholt wurde, dann auch umso mehr fehlen wird. Ein größerer Gewinn hier und für mich bedeutet immer auch einen größeren Verlust irgendwo dort und für jemand anderen. Das Ganze als Ganzes wird nicht mehr oder weniger, und wo Gewinne gemacht werden müssen, müssen also auch Verluste geschehen. Überschüsse gehen immer zu Lasten und können nur durch Verknappungen entstehen, Gewinne kann es nur auf Kosten geben, also dadurch, dass Verluste erlitten werden. Die größten Gewinne sind mit Katastrophen zu machen, damit, dass andernorts ökologische Systeme und soziale Gefüge, Lebensgrundlagen und Lebensformen ausgehöhlt und zerstört werden. Je umfangreicher und nachhaltiger dies geschieht, umso fetter ist der Gewinn, der sich damit machen, umso höher ist die Rendite, die sich daraus erzielen lässt.

Ich beschließe, mein Vermögen erst einmal für mich und von diesen Pisten fern zu halten und verschwinde über den Seitenstreifen. Über die angelegten Wege hinweg schlage ich mich seitlich in die Büsche zu den Trampelpfaden. Hier teile ich mein Vermögen mit dem der Natur, die nicht auf Gewinn, sondern auf Geben aus ist, und deren Vermögen sich immer wieder neu vermehrt, weil es frei gegeben und frei zurückgegeben wird und niemand es festhalten und gegen einen scheinbar Anderen verteidigen muss. Es gibt keine Notwendigkeiten, irgendetwas oder irgendwen auszubeuten oder zu übervorteilen, denn da mir nichts vorenthalten wird, gibt es dadurch auch nichts vor anderen zu erreichen. Es gibt keine Notwendigkeiten, Gewinne zu machen, denn da mir alles von Natur aus gegeben ist, bleibt da nichts mehr, das erst gewonnen und mir zueigen gemacht werden muss. Es gibt ein Wissen, dass ich das, was ich irgendwo anders und irgendeinem anderen gebe, immer mir selbst gebe, und dass das, was ich irgendwo anders oder irgendeinem anderen wegnehme, immer mir selbst wegnehme. Und es gibt ein Wissen, dass auf einer Überholspur stets etwas auf der Strecke bleiben wird, und ein Wissen, dass das, was da auf der Strecke bleiben wird, stets das eigentlich Wesentliche und also wertvoller ist und bleiben wird als all jenes, was auf dieser Spur jemals einzuholen ist. Denn das, was auf der Überholspur auf der Strecke bleiben wird, ist ja nichts anderes als ganz genau eben dies: mein Vermögen. Ein anderes Vermögen natürlich als das, was eine Bank darunter zu verstehen gedenkt.

(Henning Sabo)

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