Einhaltestelle

Des Bemerkens wert:

Heute, auf meiner Fahrt in die Stadt, war die vorletzte Tür der Straßenbahn defekt. Sie ließ sich nicht öffnen – weder von außen noch von innen.
Es war sehr interessant, zu beobachten, wie die Menschen, die draußen vor dieser Tür standen und darauf warteten, dass sie sich öffnete und sie einsteigen konnten, damit umgingen, dass sie genau eben dies nicht tat. Ob und wie oft sie noch einmal auf den Knopf drückten, wie lange es dauerte, bis sie es realisierten und glaubten und handelten, was sie dann taten, welche Tür sie wählten – ob die hintere, die näher war, oder die vordere, die breiter war.
Fast alle wählten die vordere, ganz gleich, ob sie von vorne oder von hinten gekommen waren, und das auch, wenn die hintere noch offen war oder noch Menschen davor standen, um in sie einzusteigen. Meist ging der Blick sofort nach vorne, und dann auch die Bewegung der Beine – vielleicht unbewusst, um so noch die Möglichkeit zu haben, bis zur ersten Tür zum Fahrer vorzulaufen und diesen unmittelbar auf sich aufmerksam machen zu können.
Ein kleiner Junge stand völlig gelähmt vor der Tür und starrte sie vollkommen verständnislos an, er war von seiner Mutter nur schwer dazu zu bewegen, mit ihr nach vorne zu gehen, um dort einzusteigen.
Was mich überraschte, war, dass viele Leute sich an diese Tür stellten und den Knopf drückten, um wieder auszusteigen – obwohl sie selbst draußen vergeblich auf deren Öffnung gewartet hatten und obwohl während der Fahrt mehrfach deutlich wurde, dass sie auch von innen nicht zu öffnen war.
Drei Jungen im Alter von vielleicht 15 Jahren machten es dagegen ganz clever; sie liefen, gleich nachdem sie von der verschlossenen Tür zur hinteren gegangen und in diese eingestiegen waren, sofort wieder vor, um zu prüfen, ob die Tür nicht wenigstens von innen zu öffnen war. Sie stellten sich zum Aussteigen natürlich nicht erst an diese Tür an, sondern wählten dazu gleich die hintere – und so tat es auch ich.

Da fällt mir ein witziges Gleichnis ein:

In einem Linien-Bus bemerkten die Reisenden, dass eine ältere Dame, die in der Nähe der hinteren Tür saß, äußerst nervös war und immer unruhiger zu werden schien. Schließlich fragte sie ein Mann, der eine Bank weiter saß, nach dem Grund für ihre Unruhe. »Oh, wissen Sie«, sagte sie, »ich habe einfach Angst, dass ich meine Haltestelle verpasse und auszusteigen vergesse.« »Nun«, sagte der Mann, »vielleicht kann ich Ihnen ja helfen – welches ist denn die Haltestelle, an der Sie aussteigen müssen?« »Die Endstelle«, sagte die alte Dame.

(Henning Sabo)

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